Von Volker Seifert

Ethik ist kein schmückendes Beiwerk menschlichen Handelns, sondern dessen notwendige Rechtfertigung. Wo der Mensch über Leben und Tod entscheidet, kann sie nicht ausgeklammert werden – und kaum ein Handlungsfeld macht diese Zumutung deutlicher als die Jagd. Diter Stahmann stellt sich dieser Herausforderung mit dem Anspruch, die Jagd nicht nur praktisch, sondern vor allem moralisch zu durchdringen. Ethik für Jäger setzt dabei bewusst bei den Grundlagen an: bei der Frage, wie der Mensch sich selbst, das Tier und die Natur überhaupt versteht.

Der Autor spannt einen weiten Bogen von philosophischen und religiösen Mensch-Tier-Bildern bis hin zu evolutionsbiologischen Erkenntnissen. Besonders überzeugend ist dabei die konsequente Einbettung des Menschen in die biologische Evolution, ohne seine kulturelle Entwicklung und moralische Verantwortung zu relativieren. Stahmann macht deutlich, dass Moral kein Gegenpol zur Natur ist, sondern ein Ergebnis menschlicher Kulturgeschichte – und damit auch veränderbar, lernfähig und begründungsbedürftig.

Kritisch und wohltuend zugleich ist seine Auseinandersetzung mit verbreiteten Missverständnissen ökologischer Begriffe. Nachhaltigkeit erscheint hier nicht als romantisches Gleichgewicht, sondern als anspruchsvolle Gestaltungsaufgabe in dynamischen, oft gestörten Ökosystemen. Der Naturhaushalt reguliert sich nicht von selbst in einem harmonischen Idealzustand; er ist Ergebnis komplexer Wechselwirkungen, in die der Mensch längst tief eingegriffen hat. Gerade daraus leitet Stahmann eine ethische Verantwortung ab, die einfache Schuldzuweisungen ebenso vermeidet wie naive Naturverklärung.

Im Zentrum des Buches stehen jedoch die unbequemen Fragen: Haben Tiere eine Würde? Wo endet legitime Nutzung, wo beginnt moralisches Unrecht? Und wie ist der Tod des Tieres durch den Menschen ethisch zu bewerten – insbesondere im Vergleich zum menschlichen Umgang mit dem eigenen Tod? Stahmann argumentiert hier differenziert und ohne rhetorische Schonung. Er verteidigt die Jagd nicht pauschal, sondern knüpft ihre Legitimität an klare moralische Voraussetzungen, die sich aus Tierschutz, Ökologie und menschlicher Verantwortung ergeben.

Damit gelingt dem Buch ein Balanceakt, der in jagdethischen Debatten selten ist: Es ist weder apologetisch noch moralisierend, sondern fordert Jäger wie Kritiker gleichermaßen heraus, ihre Positionen zu begründen. Ob man Stahmanns Schlussfolgerungen im Einzelnen teilt oder nicht – sein Werk zwingt dazu, über Jagd, Natur und Moral neu und genauer nachzudenken.

Im weiteren Verlauf widmet sich Stahmann der Jagd als anthropologischer Konstante. Jagdleidenschaft erscheint dabei nicht als bloßes Hobby oder kulturelles Relikt, sondern als tief verankerte menschliche Disposition, deren Spuren sich bis in die frühesten Zeugnisse menschlicher Kultur zurückverfolgen lassen. Die Höhlenmalereien von Lascaux oder Altamira stehen hier nicht nur für Nahrungserwerb, sondern für Sinnstiftung, Identität und symbolische Aneignung der Welt. Stahmann liest diese Bilder überzeugend als Ausdruck einer frühen ethischen Beziehung zum Tier – einer Beziehung, die Ehrfurcht und Tötung nicht als Widerspruch empfand.

Gleichzeitig scheut der Autor nicht vor der unbequemen These zurück, dass die Jagd auch als Ursprung organisierter Gewalt verstanden werden kann. Die Fähigkeit zu töten, zu planen und zu kooperieren bildet sowohl die Grundlage kultureller Entwicklung als auch das Potenzial zur Entgrenzung. Gerade aus dieser Ambivalenz leitet Stahmann die Notwendigkeit ethischer Begrenzung ab. Jagd ist für ihn niemals moralisch neutral; sie verlangt Regeln, Rituale und Selbstbeschränkung. Der Begriff der Waidgerechtigkeit wird dabei nicht nostalgisch verklärt, sondern als historisch gewachsenes, normatives Korrektiv ernst genommen – allerdings nur dort, wo er tatsächlich dem Tier und nicht der Selbstrechtfertigung des Jägers dient.

Besonders stark ist Stahmann dort, wo er eine Teilhabe-Ethik entwickelt, die den Jäger nicht als außenstehenden Manager von Natur, sondern als Beteiligten begreift. Wer jagt, übernimmt Verantwortung nicht nur für den Tod des Tieres, sondern auch für dessen Lebensraum, für Populationen und für die Folgen des eigenen Handelns. In diesem Zusammenhang stellt der Autor die klassische Zweck-Mittel-Frage neu: Heiligt der Zweck – etwa Bestandsregulation oder Naturschutz – tatsächlich jedes Mittel? Stahmann verneint dies entschieden und macht deutlich, dass ethische Legitimation nicht allein aus dem Ziel, sondern aus der Art des Handelns erwächst.

Bildschirmfoto vom 2025 11 18 23 29 26Diese Argumentation führt folgerichtig zur kritischen Auseinandersetzung mit moderner Jagdtechnik. Nachtsichtgeräte, Drohnen oder hochpräzise Waffensysteme werden nicht pauschal verdammt, aber einer strengen ethischen Prüfung unterzogen. Wo Technik Distanz schafft, Risiko eliminiert und die Begegnung mit dem Tier zur reinen Vollzugshandlung reduziert, sieht Stahmann eine Grenze überschritten. Effizienz allein ist kein moralischer Maßstab; vielmehr stellt sich die Frage, ob technische Mittel noch mit Achtung, Fairness und Verantwortlichkeit vereinbar sind.

Zum Abschluss verdichtet Stahmann seine theoretischen Überlegungen in fünf exemplarischen Jagdgeschichten. Diese Fallbeispiele sind mehr als illustrative Anekdoten: Sie fungieren als ethische Prüfsteine, an denen sich die zuvor entwickelten Maßstäbe konkret bewähren müssen. Gerade in dieser Verbindung von Reflexion und Erfahrung liegt eine besondere Stärke des Buches. Die Geschichten zwingen den Leser, Stellung zu beziehen – nicht abstrakt, sondern im Angesicht realer Entscheidungen, realer Tiere und realer Konsequenzen.

 

Dieter Stahmann: Ethik für Jäger. Die Jagd zwischen Natur, Moral und Wissenschaft
Grevesmühlen: cw Nordwest Media Verlagsgesellschaft mbH, 2025