Von Volker Seifert
Johann Gottlieb Fichte, ein bedeutender deutscher Philosoph des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts, entwickelte in seiner Philosophie einen Begriff der Natur, der nicht nur die Welt der Erscheinungen umfasst, sondern auch tief in die Beziehung zwischen Subjekt und Objekt eingebunden ist. Der Naturbegriff bei Fichte ist nicht statisch, sondern dynamisch und wird eng mit dem menschlichen Bewusstsein und dem Prozess des Handelns verknüpft. Im Hinblick auf die Jagd kann dieser Naturbegriff dazu dienen, das Verständnis von Mensch und Natur sowie ihre wechselseitige Beziehung zu reflektieren.
Der Naturbegriff bei Fichte
Fichte verstand die Natur nicht als eine Sammlung von unbelebten, objektiven Dingen, die unabhängig vom menschlichen Bewusstsein existieren, sondern als etwas, das durch die Aktivität des Subjekts konstituiert wird. In seiner Wissenschaftslehre, einem seiner zentralen Werke, entwickelte er die Idee, dass das Subjekt, das ich, sich durch seine Tätigkeit die Welt erschafft. Diese Welt ist nicht einfach gegeben, sondern sie ist das Resultat des Tuns und Schaffens des Ichs. Die Natur wird in diesem Kontext als ein „Anderes“ zum Ich betrachtet, das jedoch durch das Ich selbst bestimmt und in ihrer Existenz in gewisser Weise immer schon mit ihm verwoben ist.
Die Natur ist für Fichte also nicht eine passive, unbeteiligte Welt, sondern sie steht in einem ständigen Wechselspiel mit dem aktiven Subjekt. In der Tat ist der Mensch nicht nur ein passiver Beobachter, sondern ein handelndes Wesen, das die Natur in seine eigenen Zwecke einbezieht und sie als ein Mittel zur Verwirklichung seiner Ziele und Wünsche nutzt. Diese Sichtweise hat tiefgreifende Auswirkungen auf das Verständnis von Aktivitäten wie der Jagd, die oft als eine der grundlegendsten Formen menschlichen Handelns betrachtet wird.
Die Jagd im Kontext des Fichten’schen Naturbegriffs
Die Jagd stellt eine Praxis dar, bei der der Mensch aktiv in die Natur eingreift, um ein Ziel zu erreichen – das Erlegen von Wild. In der Philosophie Fichtes könnte man die Jagd als einen Akt des Subjekts verstehen, das in einem bestimmten Sinne die Natur „erobert“, indem es das Wild zur eigenen Zweckverwirklichung nutzt. Doch auch hier würde Fichte den Naturbegriff nicht in einer rein mechanischen Weise verstehen. Die Natur ist nicht nur ein Objekt, das vom Jäger „gebraucht“ wird, sondern in gewisser Weise ein Partner im Austausch, in dem der Jäger mit der Natur interagiert.
Fichte würde argumentieren, dass der Jäger die Jagd nicht nur aus einem mechanischen Bedürfnis heraus betreibt, sondern dass er durch die Jagd seine eigene Freiheit und Selbstbestimmung realisiert. Die Jagd wird so zu einem Ausdruck der Selbstverwirklichung, in der das Subjekt seine Handlungsfähigkeit im Angesicht der Natur beweist. In dieser Hinsicht kann die Jagd als ein Spiegelbild der Beziehung zwischen dem Ich und der Welt gesehen werden. Die Natur wird nicht als ein bloßes Objekt des Begehrens betrachtet, sondern als ein Akt der Wechselbeziehung, in dem der Jäger sich in der Auseinandersetzung mit der Natur selbst erkennt.
Ein weiteres zentrales Element in Fichtes Philosophie ist die Idee des „Nicht-Ichs“, das die Natur als das Fremde und Andere repräsentiert. Der Mensch muss sich gegen dieses „Nicht-Ich“ behaupten und sich immer wieder in einem Dialog mit der Natur als das Andere positionieren. In Bezug auf die Jagd bedeutet dies, dass der Jäger eine ständige Herausforderung durch das Wild erfährt. Er muss sich den natürlichen Gegebenheiten stellen, mit denen er es zu tun hat – seien es die Verhaltensweisen des Wilds, die Beschaffenheit der Landschaft oder die Gesetze der Natur. Dieser Umgang mit der Natur führt zu einer ständigen Auseinandersetzung, bei der der Jäger nicht nur die Natur beherrscht, sondern auch von ihr gelernt wird.
Die ethischen Implikationen der Jagd aus der Sicht Fichtes
Aus Fichtes Sicht ist die Jagd mehr als ein bloßer Akt der Unterwerfung der Natur. Sie kann auch einen ethischen Charakter annehmen, wenn der Jäger sich seiner Verantwortung gegenüber der Natur bewusst wird. Diese Verantwortung könnte in der Idee liegen, dass das Subjekt, das in der Jagd seine Freiheit auslebt, zugleich auch die Natur in ihrer Eigenständigkeit und Unabhängigkeit respektieren muss. In Fichtes Philosophie ist der Mensch nicht der alleinige Herrscher über die Natur, sondern steht in einer komplexen und wechselseitigen Beziehung zu ihr.
Es gibt jedoch auch die Möglichkeit, dass die Jagd unter einem ethischen Gesichtspunkt als problematisch betrachtet werden könnte, insbesondere wenn sie aus einem rein utilitaristischen oder zerstörerischen Antrieb erfolgt. Der Jäger, der nur zur Selbstverwirklichung oder aus Lust an der Gewalt jagt, würde laut Fichte ein gewisses ethisches Defizit aufweisen, da er die Natur und das Wild nicht als Teil eines größeren Prozesses der Selbstverwirklichung begreift, sondern sie auf bloße Objekte reduziert. Insofern fordert Fichte die Subjekte auf, in ihrem Handeln verantwortungsbewusst zu sein und die Natur nicht nur als Mittel, sondern auch als eine eigenständige und zu respektierende Instanz zu begreifen.
Fazit
Fichtes Naturbegriff führt uns zu einem Verständnis von Natur als dynamische Wechselbeziehung zwischen Subjekt und Objekt. In der Jagd kommt dieser Naturbegriff auf interessante Weise zum Tragen, indem der Jäger als aktives Subjekt mit der Natur interagiert und sich in einem ständigen Dialog mit ihr befindet. Die Jagd wird damit nicht nur zu einem Akt der Subjektivität und Selbstverwirklichung, sondern auch zu einer Praxis, die ethische Überlegungen über die Verantwortung des Menschen gegenüber der Natur aufwirft. In Fichtes Philosophie kann die Jagd als ein Akt der Freiheit und Selbstbestimmung gesehen werden, der jedoch immer auch in einer Beziehung zu den natürlichen Gegebenheiten und dem respektvollen Umgang mit der Natur steht.