Von Gert G. von Harling

Ein Jagdfreund erzählte, dass er morgens im Bett als erstes die Todesanzeigen in der Tageszeitung liest. „Erst wenn ich dort meinen Namen nicht finde“, schmunzelte er, „stehe ich auf.“ Auch ich beschäftige mich zunehmend mit dem Älter werden. Ich fühle mich längst nicht zum alten Eisen gehörig, werde allerdings mitunter daran erinnert, dass ich nicht mehr zu den Jungen zähle.

Wenn es auf einer Gesellschaftsjagd um die Verteilung der Stände geht, bekomme ich schon mal zu hören: „Harling, nehmen sie diesen Stand, der nächste ist ziemlich weit entfernt und beschwerlich zu erreichen, da setzen wir einen Jüngeren hin.“

Nach so einer „Aufmunterung im Treiben“ denke ich an meinen Jagdfreund v. Maltzahn, der sein hohes Alter schamlos missbrauchte, um auf Drückjagden die besten Stände zu ergattern.

Man sagt, es gäbe auf Treibjagden keine schlechten oder guten Stände, lediglich schlechten oder guten Anlauf. Maltzahn teilte diese Ansicht nicht. Der erfahrene Jäger litt wie aus heiterem Himmel an Kreuzschmerzen, bestand penetrant auf Mitleid, Schonung oder Rücksicht auf sein Alter und seinen maroden Gesundheitszustand, wenn er in die Nähe eines ihm zusagenden Standes kam, den jemand anderes besetzen sollte, dass der anstellende Beamte nicht umhin konnte, die ursprüngliche Planung über den Haufen zu werfen, Maltzahn den Stand zuzuweisen und einen anderen Jäger zu dem entfernteren, nicht so Erfolg versprechenden Posten zu schicken.

War aber ein Stand, der erfolgsträchtiger erschien, erst nach längerem Marsch zu erreichen, pochte v. Maltzahn darauf, noch ein Stückchen zu laufen, bezeichnete es als Unverschämtheit, ihn zum alten Eisen zu zählen. Sämtliche körperlichen Gebrechen waren vergessen. Um es den "jungen Leuten" so richtig zu zeigen, eilte er voran und nahm wie selbstverständlich "seinen" Stand ein, auch wenn er in weiter Ferne lockte.

Alt werden wollen alle, alt sein will keiner

Ich leide unter der Zunahme der Jahresringe, tue mich schwer mit dem „reifer“ werden. Anders mein Freund Baron Korff. Er findet sich mit dem Älterwerden vorbildlich ab. Altersmäßig trennen mich fast 20 Jahre von ihm. Ich traf ihn kürzlich auf einer Drückjagd. Etwas gekrümmt auf seinen eleganten Spazierstock gestützt, immerhin war der Herr bereits 86 Jahre alt, entgegnete er auf meine Frage, wie denn die diesjährige Jagdsaison bisher verlaufen sei: „Na ja, mit dem Mitschwingen klappt es nicht mehr so wie früher, als wir noch jünger waren“ - er sagte wirklich „wir“ - hob seinen Krückstock vor die Schulter und schlug mit ihm an, als hätte er eine Flinte in den Händen. „Von den 19 Sauen in den letzten zwei Monaten habe ich doch tatsächlich drei gefehlt“.

Mir fällt es schwer, mich damit abfinden zu müssen, nicht mehr zur leistungsfähigen Jugend gezählt zu werden. Schon vor zwei Jahren wurde mir deutlich, dass das Alter tatsächlich nicht spurlos an mir vorüber gegangen ist.

Es war auf einer Niederwildjagd, als sich mir ein junger Mann, Freund meines Sohnes, er hatte erst kurz vorher seinen ersten Jagdschein gelöst, vorstellte. Nachdem er seinen Namen genannt hatte, fragte ich, ob er von dem gleichnamigen Rittergut stammte. „Ja, das ist mein zu Hause“, war die Antwort des aufgeweckten Burschen.

„Oh, dann grüßen sie bitte Jörg, ihren Vater, mit ihm habe ich viel gemeinsam gejagt und so manches Bier getrunken“, erwiderte ich erfreut. Die Antwort war niederschmetternd: „Herr v. Harling, Jörg war mein Großvater!“

Wenig später wurde ich noch einmal mit meiner vergangenen Jugend konfrontiert. Ich war zur Jagd in Masuren. Mein Begleiter Jurec half mir beim Überwinden eines schmalen Abflussgrabens. „Altes Mann, geht nur noch, wenn sind Wölfe hinter dir!“

Zwar habe ich geschmunzelt, aber die Bemerkung hat mich nicht übermäßig froh gemacht, ich habe lange über Jurecs Äußerung nachgedacht.

Je älter ich werde, desto öfter registriere ich, dass sich meine Mitjäger verändern. Die meisten sind jünger als ich es damals in ihrem Alter war, bilde ich mir ein. Andererseits sehen die Männer meines Alters viel jünger aus als ich.

Kürzlich traf ich einen Jugendfreund. Er war sehr gealtert und erkannte mich nicht. An ihn dachte ich, als ich mir nach der Jagd die wenigen verbliebenen Haare kämmte, im Spiegel mein Konterfei bewunderte und mir bewusst wurde, dass nichts mehr so ist wie früher. Selbst die Spiegel taugen nichts mehr.

Der Weg zum Ansitz kam mir früher nicht so lang vor. Mag sein, dass das Einbildung ist, aber früher brauchte ich nicht so hohe Kanzeln, und auch die Leitern waren nicht so steil, es ist fast eine Zumutung, da hinaufzusteigen. Als ich an einem Spätnachmittag endlich mit schmerzenden Beinmuskeln schnaufend auf der harten Holzbank saß, trat auf der gegenüberliegenden Seite der Wildwiese ein Reh aus. Bock? Ricke? So sehr ich auch spekulierte und an der Einstellschraube des Fernglases drehte, ich konnte das Stück nicht sicher ansprechen. Mein Glas hat schließlich schon viele Jahre seinen Dienst versehen, offenbar war mit ihm etwas nicht in Ordnung, vielleicht war Staub ins Innere gelangt oder die Prismen hatten sich verschoben. Es ist Zeit, mir ein neues zuzulegen. Nach längerer Zeit gab ich jedenfalls meine Ansprechbemühungen auf, zumal nicht nur die Augen schmerzten, sondern auch mein Rücken – kein Wunder bei der harten Bank.

Ich lehnte mich zurück. Meine Jagdhose spannte und drückte unangenehm um Hüfte und Bauch. Wahrscheinlich hatte mich der junge Mann vor ein paar Jahren beim Kauf schlecht beraten, der Stoff war jedenfalls auch nicht mehr das, was er früher einmal war.

Kein Vogel sang, kein Geräusch war zu hören. Ich sinnierte über das Gespräch mit meinem Bruder am Nachmittag. Wir saßen auf der Veranda. Es schien totenstill um uns herum zu sein. Vorsichtig bemerkte ich: „Ich sehe ja ein, dass ihr Landwirte, um überhaupt existieren zu können, allerlei Chemie auf die Äcker ausbringen müsst, aber dass sämtliche Heuschrecken vernichtet worden sind ist doch grauenvoll. Wie schön war früher das Konzert der Grillen im Garten.“ Da kam meine Schwägerin hinzu: „Die Zikaden machen ja heute wieder einen Höllenlärm, man versteht fast sein eigenes Wort nicht mehr.“ Mein Bruder und ich schauten uns nur stumm an.

Ja, und dann musste ich wieder an meinen Sohn und seinen Rat denken. Schon lange hatte ich mich darüber geärgert, dass die Schrift in meiner Jagdzeitung so klein geworden ist. Als ich ihn bat, mir eine besonders klein gesetzte Bildunterschrift vorzulesen, ärgerte ich mich darüber, dass er so leise sprach. Darauf angesprochen meinte er: „Papusch, Du wirst alt und witzig. Schreib doch mal in Deiner Kolumne im JÄGER darüber.“

Nun habe ich seinen Rat befolgt.