Von Wildmeister Dieter Bertram
50 Jahre hat er das Gemeinderevier betreut, hier wurde er geboren. Sein Lebensraum, 80 Jahre lang, war nur durch die Kriegereignisse unterbrochen.
"Es ist schon ein Glück", sagt der Sepp und schiebt seine Pfeife in einen anderen Mundweinkel, "es ist schon ein Glück, ein Leben lang in der Natur vderbracht zu haben, an ein und demselben Platz." Sein Blick geht weit über sein Revier bis zu den angrenzenden Tiroler Bergen.
In seiner Jugend konnte man vom Dorf aus Reh-, Rot- und Gamswild beobachten, wo heute die Lifte und neue Siedlungen stehen. Beim Pilze- und Beerensammeln polterte oft ein Auerhahn vor ihm ab.
Wenn die Jäger in dem Gasthaus saßen setzte er sich als Kind hinter sie und hörte ihren wahren und unwahren Geschichten zu. Er glaubte ihnen alles und wußte nichts von Jägerlatein.
Die Jäger waren eine eigene Kaste und sein sehnlichster Wunsch, einmal zu ihnen zu hören.
Die erste Trophäe ware eine gekaufte.
Die Schafhirten brachten sie mit, wenn sie von der Sommerweide kamen, einen Adlerflaum.
Niemand fragte nach der Herkunft der Federn. Man frgate wohl zum Almabtrieb nach fehlenden Lämmern. Lob und Anerkennung erfuhr der Senner, wenn kein Schaf abgestürzt und kein Lamm vom Adler gegriffen war.
Der Jäger nannte ihn einen "Jägerburschen" mit gerade einmal neun Jahren und schenkte ihm eine Schwungfeder dazu.
Die Jägerprüfung hatte er nicht sehr schwer in Erinnerung. Er war in der Natur aufgewachsen mit wachen Augen hatte er alles selbst erfahren.
Das Wissen und die Theorie der Jäger sei heute sehr groß, doch habe er den Eindruck, daß sie das Wissen noch nie in den Händen gehalten hatten. Als ihm der Jagdschutz übertrgaen wurde mußte mit hohem Arbeitseinsatz in steilen Hanglagen Gras gemäht und Heu eingebracht werden für die Winterfütterung. Es war undenkbar, daß jemals am Futterplatz ein Schuß gefallen wäre.
Mit Raubwildbälgen und Prämien besserte er seinen Lohn auf, bezahlte seine Jagdausrüstung.
Das erste Stück Schalenwild, einen Knopfer, bekam er nach mehreren Jahren frei. Einige hundert Stück Raubwild und Raubzeug hatte er bis dahin schon zur Strecke gebracht, nicht nur wegen des Geldes sondern vor allem wegen der Hahnen.
Die weiten Feuchtwiesen im Revier, in denen im Frühjahr die Birkhähne kullerten und die Bekassinen im Zick-Zack-Flug abstrichen wurden in den letzten Jahren von der EU zu einem "Wiesenbrüterprogramm" mit hohen Zuschüssen erklärt.
Die charakteristischen Wiesenbrüter sind verschwunden, es tummeln sich die Krähen und Elstern. Ein landwirtschaftlicher Juwel wurde zum Jagdgebiet von Raubwild und streunenden Katzen, und zum Hundeauslauf.
Die Jäger haben nach vielen Einschränkungen das Interesse an diesem Revierteil verloren und pirschen lieber auf Schalenwild. Seine ganzen Sorgen um die Entwicklung seines Revieres konnte er weder in seinen Hegeringen noch in Tierschutzverein anbringen, den er vor vielen Jahrzehnten mitgegründet hatte.
Zu den Tierschützern geht er nur noch unregelmäßig. Zu oft hat er sich mit ihnen gestritten und ihnen vorgeworfen, daß sie am Verfall der Balgpreise beteiligt seien, Pelzträger an den Pranger zu stellen.
Mit den Raubwildbälgen hatte er nicht nur seinen Lohn aufgebessert sondern für ein rechtes Verhältnis zwischen Raubwild und Friedwild gesorgt.
Mutig war er, der alte Mann. Er hatte manchen Wilddieb gegriffen und ein Leben lang für das Wild gearbeitet, in den letzten Jahren nur noch erfolglos für sein Wild gestritten. Bis zum zuständigen Umweltminister hatte er sich vorgearbeitet um seine Sorgen für das Wild aus der Sicht eines heimatverbundenen Aufsichtsjägers los zu werden, doch er scheiterte bereits an der Vorzimmerdame.
Wo die großen Fäden gezogen werden, wo nur noch wissenschaftlich mit dem Wild abgerechnet wird von hochgebildeten "Persönlichkeiten", die noch nie einen Marder gefangen, eine Winterfütterung bei hohen Schneelagen beschickt und noch keinen Auerhahn verhört haben, bei diesem Personenkreis ist kein Platz für Argumente eines einfachen Wildhüters.
Langsam zieht er sich zurück aus seinem Jägerleben. Als er von einer nachwachsenden, jüngeren Jägergeneration zum Geburtstag eine "Weitstrahllampe" geschenkt bekam - man braucht heute so etwas bei der Jagd, so der Hinweis - hat er die Annahme verweigert, Nein, auch wenn seine Augen schlechter geworden sind, er braucht solche Hilfsmittel nicht zum Jagen.
Es sind mehr Spaziergänge, weniger Reviergänge, die er mit seinem schön älteren, aber noch wildpassionierten Jagdterrier macht.
Gerne fährt er ab und an zu den Jagdnachbarn auf der tiroler Seite. Das Wild und die Jagd habe dort noch einen höheren Stellenwert.
"Ist die Jagd für dich vorbei?" frage ich ihn. Gesund sei er noch mit seinen 80 jahren, und drahtig, und am Berg würde er noch so manchen Jüngeren davon laufen.
Er beginnt sich von der Jagd zu verabschieden, es sei nicht mehr seine Jagd, für die er ein Leben lang gearbeitet habe. Kenntnisreich und erfahren versteht er Vieles an der Entwicklung nicht mehr.
Ein Wildhüter alter Prägung, der seine Waffe nicht mehr aus dem Schrank holt, wird die Jägerwelt nicht aufhorchen lassen. Ärmer wird sie schon, die neue Jagd.
Hoffen wir, daß in den nächsten hundert Jahren, in den Stuben weiter Kinder den Jägergeschichten zuhören, so wie der Sepp in seiner Jugend auf der Ofenbank, mit roten Wangen, grünem Hut, besser ohne Adlerflaum, weil das vielleicht den Tatbestand der Hehlerei erfüllen könnte.