Von Volker Seifert

Werner Röseners umfangreiche Darstellung der Jagdgeschichte von der Altsteinzeit bis in die Gegenwart ist ein ehrgeiziges und willkommenes Werk, das sich einer gleichermaßen facettenreichen wie kontroversen Thematik widmet. Es sticht hervor, da es die Jagd weder pauschal moralisch verurteilt noch unkritisch als anthropologische Konstante glorifiziert. Zudem beleuchtet es die vielfältigen ökologischen, wirtschaftlichen, rechtlichen, sozialen und kulturellen Dimensionen der Jagd, ein in der Forschung bisher eher selten umfassend behandeltes Thema. Angesichts des breiten Untersuchungsfeldes sind Auswahl und Schwerpunktsetzungen unvermeidlich – und stellen zugleich eine Herausforderung dar.

4067Der Autor, ausgewiesen durch seine Forschungen zur Agrar- und Jagdgeschichte des Mittelalters, strukturiert die Darstellung in vier chronologisch gegliederte Großkapitel. Nach einer Einführung in die Grundlagen der Jagd in Frühgeschichte und Antike widmet er sich der höfischen Jagdkultur des Mittelalters und der Neuzeit, bevor er abschließend die moderne Jagd im Kontext gesellschaftlicher Interessen und Konflikte skizziert. Während Rösener gelegentlich einen Blick auf England und Frankreich wirft, konzentriert sich die Analyse ab der Neuzeit überwiegend auf die deutschen Gebiete.

Im Mittelpunkt steht die höfische Jagdkultur, die zwei Drittel des Buches einnimmt. Der Autor versteht die Jagdgeschichte als Beitrag zu einer „neuen Kulturgeschichte“ – allerdings weniger im Sinne eines erweiterten methodischen Instrumentariums, sondern als kulturhistorische Einordnung der Jagd in die höfische Gesellschaftsordnung. Die chronologische und thematische Strukturierung der Kapitel macht das Werk handbuchartig zugänglich und erlaubt es, einzelne Abschnitte unabhängig voneinander zu lesen. Allerdings führt die Orientierung an den konventionellen Epochengrenzen von Mittelalter und Früher Neuzeit zu Redundanzen, insbesondere in der Analyse der „Epoche des herrschaftlichen Jagdregals“ (91), die vom Hochmittelalter bis 1848/49 reicht. Bedauerlich ist auch der Verzicht auf ein abschließendes Kapitel, das die großen Entwicklungslinien der Jagdgeschichte zusammenfasst.

Rösener beginnt mit einem Überblick über die bisherigen Forschungslücken und kontroversen Sichtweisen auf die Jagd. Dabei greift er auf José Ortega y Gassets „Meditationen über die Jagd“ zurück, um die Faszination der Jagd als künstliche Verlängerung einer archaischen Situation zu erklären, die zugleich Herausforderung und Befreiung aus gesellschaftlichen Zwängen bietet. Ohne die Jagd als anthropologische Konstante zu idealisieren, zeichnet er sie implizit als Verfolgen und Töten von Tieren, einen zentralen Bestandteil der Menschheitsgeschichte bis zur „neolithischen Revolution“.

Im Mittelalter wurde die Jagd zunehmend zu einem Privileg der Herrschenden. Von den königlichen Forsten der Merowinger über den Wildbann bis hin zur höfischen Inszenierung der Jagd zeigt Rösener, wie eng die Jagd mit der symbolischen Darstellung von Macht und der ständischen Gesellschaftsordnung verbunden war. Frauen spielten dabei eine aktivere Rolle, als dies oft angenommen wird, wie etwa die mittelalterliche Beizjagd und die Prunkjagden der Neuzeit zeigen. Gleichzeitig führte die exklusive Nutzung durch die Oberschicht zu Konflikten mit der Landbevölkerung, die unter den Jagdprivilegien und Fronen der Fürsten litt. Diese Spannungen fanden ihren Ausdruck in den Forderungen des Bauernkriegs und den Petitionen zur Abschaffung des herrschaftlichen Jagdrechts während der Revolution 1848/49.

Während Rösener die höfische Jagdgeschichte detailliert und anschaulich darstellt, bleiben die Ausführungen zur modernen Jagd nach 1848/49 mit nur 17 Seiten enttäuschend knapp. Wichtige Entwicklungen, wie die Entstehung der Jagdkritik aus ethisch-moralischen Überlegungen oder die Beziehung zwischen Jagd, Naturschutz und Umweltbewusstsein, werden kaum berücksichtigt. Der Wandel im Mensch-Tier-Verhältnis seit der Aufklärung oder die Rolle von Reformbewegungen um 1900 finden ebenso wenig Beachtung wie die historischen Hintergründe aktueller Diskussionen um Waldschutz, Wildhege oder Trophäenjagd.

Insgesamt bietet Rösener eine kenntnisreiche und unterhaltsame Darstellung der Jagd als integralen Bestandteil höfischer Kultur, doch lässt die Behandlung der modernen Jagd sowie umweltgeschichtlicher Fragestellungen zu wünschen übrig. Trotz seiner Schwächen ist das Buch ein wertvoller Beitrag zur Jagdgeschichte, der insbesondere im Bereich der höfischen Kultur neue Perspektiven eröffnet.

Werner Rösener: Die Geschichte der Jagd.
Artemis & Winkler, 2004