Von Wildmeister Dieter Bertram
Die Kinderwünsche und die der Erwachsenen auf eine weiße Weihnacht hatten sich erfüllt. Lange vor dem kalendarischen Winteranfang lag eine geschlossene Schneedecke im Sauerland.
Mein Lehrling und ich kamen seit Wochen gern unserer Pflicht als Heger nach, über den Hermann Löns ein kleines Gedicht geschrieben hat:
„Das Schießen allein macht den Jäger nicht aus,
wer weiter nichts kann, bleibe lieber zu Haus.
Doch wer sich ergötzet an Wild und an Wald,
auch wenn es nicht blitzet und wenn es nicht knallt.
Und wer noch hinaus zieht zur jagdlosen Zeit,
wenn Heide und Holz sind vereist und verschneit,
wenn mager die Äsung und bitter die Not,
und hinter dem Wilde einherschleicht der Tod.
Und wer ihm dann wehret, ist Waidmann allein,
der Heger und Pfleger kann Jäger nur sein.
Wer bloß um das Schießen hinausging zur Jagd,
zum Waidmanne hat er es niemals gebracht.“
Es ist Nachmittag am Heiligen Abend, alle Arbeiten im Haus, im Revier und am Haus sind erledigt. Ich schlage der Familie vor, noch eine Revierfahrt zu unternehmen, um ihnen Wild zu zeigen, was nicht all zu schwer sein dürfte.
Alle sind begeistert von dem Vorschlag, auch die Hunde. Der Deutsch Langhaar Moritz und die Ardennenbracke Bengel.
Der Himmel ist bleigrau von Schneeluft, der Wald, in den wir hineinfahren, ein Wintermärchen.
Immer an der gleichen Stelle lass ich die Hunde ein Stück neben dem Auto laufen, so auch heute.
Wir unterhielten uns angeregt mit fatalen Folgen. Unaufmerksam hatte ich nicht bemerkt, dass beide Hunde die frischen Fährten von einer Wildschweinrotte untersuchten und anjagten.
Nur noch über sieben Berge war ihr Laut zu hören.
Da ich meiner Familie keine Heilige Nacht im Wald zumutete, fuhr ich sie nach einer Stunde Wartezeit nach Haus und kehrte allein zurück.
Die Hunde finden eigentlich immer den Weg zum Führer aber ich hatte meinen Platz verlassen.
Der abgelegte Rucksack und der Lodenmantel waren bei meiner Rückkehr unberührt.
Ich bereitete mich auf eine Heilige Nacht in meinem Revier vor. Die Schneewolken vom Nachmittag hatten sich verzogen, ein sternenklarer Himmel und der Frostmond verbreiteten ein Licht, dass man mit dem Glas leicht die Rehe und einen Hasen im Feld auf 800 m erkennen konnte.
Noch nie hatten wir einen so frühzeitigen Winter. Seit Wochen stand die Luft klar, spröde und kalt. Die Menschen mieden es in`s Freie zu gehen und hatten ihre Gesichter verhüllt.
Es war eine schwere Zeit für die Wildtiere, besonders die führungslosen Schwachen überlebten nicht. Es ist nicht mehr die natürliche Auslese, weil Forst und Landwirtschaft in vielen Revieren schon im Herbst nur noch Notnahrung anzubieten haben.
Hier findet der Heger seine Aufgabe, ausgleichend zu wirken, das Wild gestärkt in den Winter wechseln zu lassen.
Wir füttern täglich erst am Nachmittag, weil die Rüben aus der Miete nach wenigen Stunden steinhart gefroren sind und nicht mehr vom Wild aufgenommen werden können.
Für die Hunde habe ich den Wagen offen gelassen und besteige die knarrenden Sprossen einer Kanzel, von der ich eine Wildfütterung beobachten kann.
Das Wild hat aufgeworfen, hat mich bemerkt, sie sind aber nicht argwöhnisch und äsen weiter.
Gelegentlich klappern die Stangen der Hirsche, ein Fuchs bellt und unterbricht die stille, kalte Winternacht.
Weit ab von der Rotwildfütterung kann ich mit dem Glas zu dem Kälberstall für die Rehe sehen, den nur die Rehe, kein stärkeres Wild annehmen kann.
Ich bin mit meiner Welt, ein Leben lang für die Natur,für das Wild und die Jagd gearbeitet zu haben zufrieden.
Wenn nur die Hunde da wären.
Ich erinnere mich an die Heiligen Abende bis zurück an die Kindheit, die Kriegsweihnachten, die Hungerwinter. Sie waren, ohne die Sorgen der Erwachsenen, auch unter Entbehrungen schön. In der Adventszeit blühte bereits unsere Phantasie, beim Morgenrot das Christkind backen zu sehen.
Mitternacht war vorbei, die Lichter waren im Dorf nacheinander verloschen.
In Gedanken sagte ich Gedichte auf „Markt und Straßen steh’n verlassen, still erleuchtet jedes Haus.“
Von Matthias Claudius habe ich gern in der Schule das Gedicht gelernt „Der Winter ist ein rechter Mann, kernfest und auf die Dauer.“ Am besten gefiel mir schon als Kind die Strophe :
„Doch wenn die Füchse bellen sehr, wenn’s Holz im Ofen knittert, und um den Ofen Knecht und Herr die Hände reibt und zittert.“
Ich begann zu zittern, der Heilige Abend war bereits vor zwei Stunden in den ersten Weihnachtstag übergegangen.
Ich habe auf meine Hunde gewartet und in der Heiligen Nacht einen Weg in die Vergangenheit erlebt.
Natürlich wartete meine Frau auf mich, unser Besuch, die Kinder schliefen bereits.
Sie zündete für mich noch einmal die Kerzen an, versorgte mich mit selbstgemachter Sülze, heißer Milch und hörte sich meine eigene Weihnachtsgeschichte an, die ich bei –18 Grad erlebt hatte.
Am Weihnachtsmorgen erreichte uns ein Anruf, dass zwei Jagdhunde in der Kirche gewesen wären, sie hätten einen Kirchgänger nach dem anderen bewindet und seien wieder hinaus gegangen. Sie würden zusammengerollt vor der Kirche liegen.
In dieser Heiligen Nacht war vielleicht nicht nur das Christkind, sondern auch der Heilige Hubertus und der Heilige Antonius unterwegs und sorgten dafür, dass die Straßen verlassen und ungefährlich für zwei Jagdhunde waren.
An diesem Wintermorgen strahlten Jäger- und Hundeaugen.
Das „Fröhliche Weihnachten“ ging uns damals wie heute besonders leicht von den Lippen.