Von Christoph Boll
Eine Studie zeigt alarmierende Trends: Jagd verliert an Tiefe, Wissen und Engagement. Immer weniger Jäger sehen darin eine Lebensaufgabe – stattdessen wird Jagd zunehmend zum Hobby
Um die Zukunft von Jagd und Jägern ist es nicht gut bestellt. Zu diesem Ergebnis kam der Soziologe Prof. Dr. Werner Beutelmeyer in einer Untersuchung 2011. Darin beleuchtete der Leiter des renommierten Marktforschungsunternehmens Market Institut in Linz und Lehrbeauftragte an den Universitäten Innsbruck, Salzburg und Linz die Entwicklung der nächsten beiden Jahrzehnte. Nach mehr als der Hälfte der Zeit hat er seine Prognosen überprüft. Die Ergebnisse damals ließen aufhorchen und führten zu Diskussionen unter Jagdfunktionären. Die jetzigen Resultate geben dazu noch viel mehr Anlass. Denn unter dem Strich kommt dabei heraus, dass das Handwerk immer mehr verflacht und die Jagd zu einem Freizeitvergnügen, einem Outdoor-Event, verkommt.
Die Ableitungen damals wie heute basieren auf einer Umfrage unter österreichischen Jägern. Doch sind die Ergebnisse sehr wohl übertragbar. Das betont Beutelmeyer im Fachmagazin WILD UND HUND: „Gemeinsam mit der Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg/Neckar soll diese Studie auch im süddeutschen Raum durchgeführt werden, um eine länderübergreifende Betrachtung anstellen zu können, denn der Wandel in der Jagd zeigt in Deutschland ein noch deutlicheres Veränderungstempo. Mit anderen Worten: Jagdliche Entwicklungen in Deutschland oder beispielsweise den Niederlanden oder Schweden haben durchaus auch eine Benchmark-Funktion für Österreich.“
Die Basis des Wertewandels ist eine veränderte grundsätzliche Haltung zur Jagd. 2011 gaben noch 42 Prozent der Befragten an, die Jagd sei für sie eine Lebensaufgabe. Heute sind es nur noch 14 Prozent. Für immer mehr Jäger wird das Waidwerk zu einem Hobby unter etlichen Freizeitaktivitäten. Das jagdliche Engagement insgesamt lässt also nach. Da ist nur folgerichtig, dass immer weniger sich aktiv in einer Genossenschaftsjagd einbringen. Der Wert hat sich auf 34 Prozent mehr als halbiert. Die Mehrzahl (51 Prozent) wird vielmehr immer wieder von Freunden zur Jagd eingeladen. 2011 lag der Wert noch bei 37 Prozent. Jagdeinladungen haben also seit damals massiv an Bedeutung gewonnen.
435.930 Menschen in Deutschland hatten nach Angaben des Deutschen Jagdverbandes (DJV) Anfang dieses Jahres einen Jagdschein. Das ist ein Spitzenwert und ein Plus von 36 Prozent innerhalb von drei Jahrzehnten. Folgt man Beutelmeyers Analyse, verbringt aber der einzelne Jäger durchschnittlich immer weniger Zeit mit dem Waidwerk.
Jagdwissen nimmt ab
Bestätigt sieht der Wissenschaftler seine Annahme, dass das Jagdwissen abnimmt. „Die Zukunftsjäger 2030 sind in nahezu allen abgefragten Themenfeldern weniger informiert als der derzeitige Durchschnittsjäger. Der Megatrend zur Oberflächlichkeit dürfte bis 2030 damit auch die Jagd erfassen.“ Besonders stark seien „die Wissensdefizite bei der Jagdkultur, aber auch im handwerklichen Bereich“. Im jagdlichen Brauchtum und Handwerk von der Jägersprache bis zum Liedgut gebe es „eine besorgniserregende Erosion“. Beides, so die Schlussfolgerung, wird heute als deutlich weniger wichtig angesehen als noch vor 14 Jahren.
Das gilt sogar für die zur Waidgerechtigkeit zählende Nachsuche von krankgeschossenem Wild. Bewerteten 2011 noch 89 Prozent der Befragten sie als sehr wichtig, sind es jetzt nur noch 64 Prozent. Die Beurteilung der Wichtigkeit von Jagdhunden hat sich von 61 auf 29 Prozent mehr als halbiert. Klar zu erkennen ist die veränderte Einstellung der Jäger auch daran, dass sich immer mehr eine nächtliche Jagd auf Reh- und Hochwild (von 7 auf 25 Prozent), extreme Weitschüsse (von 6 auf 23 Prozent) und die Jagd vom Auto aus (von 8 auf 16 Prozent) wünschen.
Beutelmeyer erwartet angesichts der Ergebnisse, „dass der Jäger 2030 weiter an Kompetenz und Ansehen in der breiten Öffentlichkeit verliert“. Schon heute werden Jäger kaum als „Natur-Verantwortliche“ gesehen. „Bis 2030 dürfte dieser jagdkritische Trend zum Kippen der Stimmung gegenüber der Jagd führen. Dann spätestens werden die Jagdkritiker in Österreich in der Mehrheit sein und die Politik bedrängen, neue – vermutlich sehr enge – Spielregeln für Jäger zu definieren“, prophezeit der Wissenschaftler.
Abschließend geht er in WILD UND HUND mit einem Querverweis zur Fliegerei mit den Jägern kritisch ins Gericht: Wer eine Privatpiloten-Lizenz erwerbe, müsse jährlich eine Mindestzahl an Flugstunden absolvieren sowie alle zwei Jahre zur Verlängerung der Lizenz umfangreiche Tests ebenso bestehen wie regelmäßige medizinische Untersuchungen. „Bei der Fliegerei gehts ja um viel, und zwar um Leben und Tod des Piloten bzw. seiner Passagiere. Und bei der Jagd? Geht’s da nicht auch um Leben und Tod? Aber eben nur von Wildtieren.“ Das mag polemisch klingen, sollte aber zumindest zur Selbstreflexion anregen.
Quelle: Blog Natur + Mensch