Von Gert G. von Harling

Allah zählt die Tage nicht, die wir auf der Jagd verbringen.

Altes arabisches Sprichwort

Jeder Mensch hat 24 Stunden Zeit, jeden Tag. In der Woche sind das 168 Stunden, im Jahr genau 8.760. Tag für Tag steht jedem Menschen dieselbe Menge an Zeit zur Verfügung. Zeit ist vergänglich. Die Zeit von gestern ist unwiederbringlich vergangen, die von morgen ist unser Kapital, mit dem wir wuchern können und sollten, auch wir Jäger, denn unsere Passion erfordert nicht nur Erfahrung und Geduld, sondern vor allem sehr, sehr viel Zeit und Entbehrungen.

Als nach dem letzten Krieg Fahrzeuge und Schusswaffen von den Alliierten beschlagnahmt, die Jäger quasi enteignet wurden - Besitzern von Jagdwaffen in Deutschland die Todesstrafe drohte - wurde Schwarzwild zur Plage, hatten die Jäger schon einmal ein „Schwarzwildproblem“. Spartanisch ausgerüstet mussten sie der Sauenvermehrung ohne Hightech, allein mit Wissen, Können und viel Zeit begegnen. Und es klappte, weil sie sich die Zeit nahmen, nehmen mussten, um mitunter Tag und Nacht im Revier zu sein, Einstände, Wechsel, Eigenarten des Wildes ohne Hochtechnologie zu erkunden.

Auch in diesem Jahrtausend, im Jahr 2024 gibt es noch Forstverwaltungen, in denen der Einsatz von Wärmebildtechnik und Wildkameras verboten ist, doch die „ewig gestrigen Waidmänner im Lodenmantel“, diejenigen, die nicht die entferntesten Revierecken mit dem Auto abfahren, sondern viel Zeit opfern, um mit dem Hund am Riemen abzufährten, Gewohnheiten des Wildes erforschen, Wildschäden durch geduldiges Ansitzen erfolgreich abwehren, Raubwildbesätze ohne moderne optische Hilfsmittel unermüdlich in Grenzen halten und Abschusspläne ohne Zeitdruck erfüllen, sind eine aussterbende Spezies.

Das Wissen über die Biologie und das Verhalten unseres Wildes, die Fähigkeiten sich auf verändernde Lebensbedingungen oder Umwelteinflüsse ein- und umzustellen, sowie die technischen Mittel, mit denen ihm nachgestellt wird, sind zwar größer geworden, aber viele Jäger nehmen sich nur noch an Wochenenden Zeit, um zu „jagen“. Ausschlaggebend wann die nächste Jagd, der nächste Ansitz in den Terminkalender des vielbeschäftigten Freizeitjägers passt, ist nicht immer, ob der Zeitpunkt auch mit den Bedürfnissen des Wildes konveniert. Auf die wenigen Vollmondnächte im Jahr zu warten ist passé, Technik ermöglicht schließlich an 360 Tagen im Jahr auf Wild zu schießen. Zeitaufwändiges Beobachten und das Wild im wahrsten Sinne zu überlisten, gehen damit allmählich verloren, dafür rasen manche Jäger unter Zeitdruck ins Revier, um den Abschussplan pflichtgemäß zu erfüllen. Früher hieß es: Ich habe noch drei Ricken frei, heute hört man: Ich muss noch drei Ricken schießen. Es geht eher um Abschusserfüllung, nicht ums Jagen.

Nach einer Neuen Sauen zu kreisen oder ihnen mit dem Hund in die Einstände zu folgen, wird kaum noch praktiziert - Zeitnot. Geblieben sind Dückjagden, die mitunter zu gesellschaftlichen „Schießevents“ ausarten - massenweise Schützen und Hunde – oder hektische Maisjagden und Ansitze auf Rotten, die von Handys gemeldet und von Wildkameras bestätigt wurden. Sie nehmen nicht so viel kostbare Zeit des viel beschäftigten Weidmanns in Anspruch - freizeitfreundliches Jagen ist angesagt. Aktives Jagen weicht fantasielosem, passivem Warten in isolierten Kanzeln an der Kirrung.

Stellt man den Sauen ohne Rücksicht auf Ruhebedürfnisse, Frischkessel, Lebensrhythmus und ihr Sozialgefüge nach, ist nicht verwunderlich, wenn sie ihre Gewohnheiten geschickt auf die Bejagung umstellen und noch heimlicher und nachtaktiver werden. Drohende Seuchengefahr und in der Jahreszeit unnatürlich hohe Vermehrungsraten sind ebenfalls auf verfehlte Bejagung zurückzuführen.

Alten Keilern und intakten Rotten, in denen die Leitbache noch in erster Linie bestimmt, wer wann von wem beschlagen wird, sind in Deutschland nicht mehr sehr häufig. Abkehr von einer Bekämpfung zurück zur gekonnten und bewährten Bejagung wie sie vor nicht allzu langer Zeit durch das Lüneburger Modell gegeben war, würde das Sauenproblem „entschärfen“.

Dazu gehören Erfahrung, Können, Passion, Einfühlungsvermögen und sehr, sehr viel Zeit. Das Jagen, speziell das Schwarzwildproblem, ein grundsätzliches Problem heutiger Waidgerechtigkeit und fehlendem Respekt gegenüber der Kreatur ist für viele Jäger ein Zeitproblem geworden.

Hermann Löns verachtete den „Jagdprotz“, der mit dem Auto „zu Holze stänkert“ und die Jagd ohne Empathie betreibt: „Der saust im 60 Kilometer Tempo zur Jagd, liest derweilen ein Börsenblatt, nimmt in dem Herrenzimmer des Dorfkrugs den Bericht des Jagdaufsehers entgegen, keilt in den drei Tagen drei Böcke vorbei, und erschlägt sechs unter Zuhilfenahme von Streifenlader, Zielfernrohr und Zielstock….