Von Wildmeister Dieter Bertram / Volker Seifert

Vor über 20 Jahren, 2002, verfasste Wildmeister Dieter Bertram zusammen mit Helmut Christian Adamczak (†) einen offenen Brief an die Landwirtschaftsminister der Bundesländer zur Situation des Schwarzwildes in Deutschland.

Zahlreiche Mitunterzeichner schlossen sich den kritischen Worten der Verfasser an.

Da sich über das Jagdwesen, insbesondere über die Jagdkultur und den Tierschutz ein Dammbruch ereignet hat, wird aus Besorgnis der "Brandbrief" noch einmal veröffentlicht.

 


An die Landwirtschaftsministerien der Bundesländer zur Situation des Schwarzwildes in Deutschland.

Die ganzjährige Bejagung des Schwarzwildes mit 12monatiger Kirrung hat das Schwarzwild und die Jagd in eine Sackgasse geführt. Trotz jahrzehntelang praktizierter Kirrjagd sind die Schwarzwildbestände weiter angewachsen. Die an Kirrungen eingebrachte Biomasse von tausenden Tonnen fördert die Vermehrung der Sauen ungleich höher als die Jagd an Kirrungen abschöpft.

Das Land Rheinland-Pfalz hat darüber hinaus als erstes Bundesland durch Änderung des Landesjagdgesetzes vom 27. Juni 2002 die Verwendung künstlicher Lichtquellen zur Bejagung des Schwarzwildes legalisiert. Man denkt ferner darüber nach, künstliche Lichtquellen auch auf die Bejagung des Rotwildes auszuweiten. Künstliche Lichtquellen wurden bisher bei Wilderei als erschwerende Straftat geahndet. Als jagdliches Hilfsmittel sind sie zu ächten. Einsatz und Auswirkungen auf weitere Schalenwildarten sind abzusehen.

Ob vom Gesetzgeber gewollt oder nicht, die Achtung vor dem Wildtier, vor dem Tierschutz und vor der Waidgerechtigkeit geht den Jägern unwiderruflich verloren. Aus dieser Sorge heraus wenden wir uns an Sie.

Das Bundesjagdgesetz, international als eines der besten Jagdgesetze anerkannt, krankt nicht an Altersschwäche, sondern an fehlender Umsetzung durch die kompetente und qualifizierte Jägerschaft.
Die Jagd von morgen wird durch Jäger gekennzeichnet, die sich als Anwälte der Wildtiere verstehen.
Die Jagd von morgen ist in erster Linie Wildtierpolitik und nicht Jägerpolitik.
Die Jagd von morgen braucht Konzepte die Wildtierinteressen berücksichtigen, sonst wird die Gesellschaft ohne den Einfluss der Jäger über die Zukunft der Jagd bestimmen.
Die Jagd von morgen hat den Beschluss des Parlaments, den Tierschutz als Staatsziel im Grundgesetz zu verankern, zu erfüllen.

Aus dieser Erkenntnis und dem Ernst der Schwarzwildsituation in Deutschland sind nachfolgende Maßnahmen zur Reduzierung der Wildschweinbestände und zur Eindämmung der Schweinepest einzuleiten:

  1. Die Genehmigung zur Jagd mit künstlichen Lichtquellen ist zurückzunehmen, bevor sie für die Jäger und das Wild zu einem Flächenbrand wird. Sie ist nicht erfolgsversprechend, sondern delittantisch und gemein.
  2. Die Verweigerung einer Schonzeit für Schwarzwild ist nicht zu verantworten. Aus diesem Grunde ist eine Schonzeit von Februar bis Juli erforderlich. Das Kirren muss in dieser Zeit verboten werden. Jagd in der Setz- und Aufzuchtzeit ist nicht nur aus tierschutzrelevanten Gründen angreifbar, sie trägt durch Zerstörung der Sozialstrukturen zur weiteren Vermehrung des Schwarzwildes bei.
  3. Die wenigen auf Freiwilligkeit bestehenden Hegegemeinschaften (Schwarzwildringe) reichen nicht aus um großräumig wirksam zu werden. Die Länder haben daher von ihrer Kompetenz Gebrauch zu machen und nach Paragraph 10a des Bundesjagdgesetzes zu bestimmen, das Hegegemeinschaften gebildet werden.
  4. Die Hegegemeinschaften sind eine Hilfe für die Revierpächter. Sie erstellen bei Seuchenzügen und Überpopulationen in Zusammenarbeit mit Jagdbehörden, Veterinärämtern, Forstverwaltungen und Gemeinden revierübergreifende Bejagungsstrategien.
  5. Die Gemeinden haben die Hegegemeinschaften bei deren jagdlichen Bemühen mit begleitenden Maßnahmen zu unterstützen.

Zusammenfassung:

Die überwiegende Mehrheit der Jäger ist nicht bereit Jagdmethoden von Wildererbanden zu übernehmen. Der zur Zeit geführte Krieg gegen das Schwarzwild, Nachtjagd mit künstlichen Lichquellen, fehlende Schonzeit, Abschuss von nicht verwertbarem Jungwild, ist nicht hinnehmbar. Es besteht noch Bedarf am Abbau von Revieregoismus, der wirkungsvoll, wie Beispiele beweisen, durch Hegegemeinschaften gemindert werden kann. Ihnen ist ein höherer Stellenwert einzuräumen mit vorzugsweise hauptberuflicher Betreuung (Arbeitsplätze aus Jagdsteuer). Aus Gründen einer ordnungsgemäßen Revier- und Wildtierbetreuung muss die Verteilung von Jagdsteuer, Jagdabgabemitteln und die Absetzbarkeit von haupt- und nebenberuflichen Privatangestellten (Berufsjäger und Jagdaufseher) auf den Prüfstand.

Die Mensch-Wildtier-Beziehung ist ein Prüfstein für unseren Umgang mit der gesamten Natur. Hier hat eine zukunftsorientierte Jagd ihren Platz.

Köln und Mechernich im September 2002

Helmut Ch. Adamczak                  Dieter Bertram

 

Mitunterzeichner:

Seeben Arjes, Forstoberamtsrat, Schweisshundführer
Dr. Bernd Balke
Dr. Karl Bartel, Hermann-Löns-Gesellschaft
Dr. Wolfgang Belgard, Lehrbeauftragter für Jagd-und Fischereirecht an der Landwirtschaftlichen Fakultät der Universität Bonn
Franz Bette, Wildmeister
Hubertus Bertram, Forstwirt, Revierjagdmeister
Eckart von Brocke
Prof. Dr. Gert Ewald, Vorsitzender "Grüner Ring"
Dr. René Felber, CIC Mitglied
Renè Fohl, Revieroberjäger
Dr. Andreas Gautschi, Jagdhistoriker, Jagdschriftsteller
Rolf Goergen, Jagdschriftsteller
Richard Gudermann, Schweisshundführer
Dr. Jürgen Hager, Beirat "Förderkreis Jagdpolitik"
Hagen Hager, Rechtsanwalt
Norbert Happ, Schwarzwildexperte, Forstmann, Buchautor
Gert G. von Harling, Schriftsteller, DJV-Kulturpreisträger, Literaturpreis des CIC
Harald Hering, Oberstleutnant der Bundeswehr
Prof. Dr. Alexander Herzog, Internationaler Ring der Jagdwissenschaftler, Universität Giessen
Günter Jahr, Jagdaufseherverband NRW
Manfred Jericho, Schweisshundführer
Kuno von Kaehne, Eigenjagdbesitzer
Walter Kalthoff, Wildmeister, Ehrenvorsitzender "Bund Bayrischer Berufsjäger"
Peter Koch, Deutscher Wildschutzverband
Hartmut Kranzhoff, Schweisshundführer
Bernd Krewer, Forstoberamtsrat, Jagdschriftsteller
Dr. Heinz Kriwet, Vorstandvorsitzender der Thyssen Krupp AG
Dr. Wolfgang Krug, Arbeitskreis Wildtiere und Jagd, Mitgl. der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz
Horst Künne, Jagdmaler
Hans Ludwig, Berufsjäger
Wolfram Martin, Schriftsteller, freier Publizist
Wilhelm Mense, Forstamtsrat, Jagdhistoriker
Reinhold Messner, Bergsteiger, Internationaler Alpenschutz, Mitgl. im Europa-Parlament
Thomas Niehage, Vorsitzender "Verein zur Erhaltung des Auerwildes"
Hans Jürgen Plescher, Forstamtsrat
Dr. Barnim Pretzell, Vorsitzender Richter am OLG Köln
Wilhelm Puchmüller, Forstamtsrat, Verein Hirschmann, Saupark Springe
Haymo G. Rethwisch, Vorsitzender "Deutsche Wildtier Stiftung"
Erna Schmid, Journalistin
Prof. Dr. Ehrhard Schilling, Arbeitskreis Jagdkultur, KJS Köln
Heinz Peter Schmidt, Forstdirektor
Richard Schneider, Schweisshundführer, Jagdhistoriker
Winfried Schneider, Forstmann, Erfinder
Dieter Schütte, Verleger, Stifterverband für Jagdwissenschaften, CIC Mitglied
Dr. Karl-Helmuth Snethlage, Jagd- und Landschaftsmaler, DJV-Kulturpreisträger
Jürgen Steinhoff, Revieroberjäger
Dr. Hubert Suter, Forum Lebendige Jagdkultur
Herbert Volkmar, Forstamtmann, Rotwildbezirksleiter
Prof. Dr. Dr. Dieter Voth, Forum Lebendige Jagdkultur
Burkhart Winsmann-Steins, Autor, Wildtierfotograph
Heiner Wunert, Revierinhaber
Dr. Dr., Klaus Zimmermann, Vorstandsmitglied Thyssen AG


 

Nachtrag Juni 2005:

Mit Ausnahme des Landwirtschaftsministeriums Rheinland-Pfalz haben alle Ministerien, zum großen Teil die Minister persönlich, in ausführlichen Briefen geantwortet.

Einige Ministerien nahmen die Resolution zum Anlass und beriefen Arbeitskreise, in denen die Gedanken zum Umgang mit dem Schwarzwild aufgegriffen wurden. In mehreren Bundesländern wurden Verordnungen erlassen, die das Kirren stark einschränkten. Die meisten Bundesländer brachten zum Ausdruck, dass die Praktiken aus Rheinland-Pfalz, künstliche Lichtquellen bei der Bejagung des Schwarzwildes zu genehmigen, in ihren Ländern keinen Eingang finden würden.

Geforderte gravierende Veränderungen, wie eine Schonfrist für Schwarzwild während der Aufzuchtzeit, stießen auf heftigen Widerstand der Jagdverbände.

Bei der Veröffentlichung der Resolution hat die Jagdpresse verhalten reagiert. Dies kann nur ein Spiegelbild der allgemeinen Jagd sein.  Die zwölfmonatige Jagd auf unser Schwarzwild einschließlich der Setz- und Aufzuchtzeit wird offensichtlich nicht als Makel angesehen. Dagegen füllt die Werbung für Nachtsichttechnik jede Ausgabe mit einnahmensicheren Anzeigen.