Gastbeitrag von Dr. Gerd Kalkbrenner

"Letztes Jahr hatte ich nur vier Fehltage im Revier", war letzthin in einer Schwarzwälder Jägerrunde zu hören. Nicht von einem Berufsjäger wohlgemerkt, sondern vom Begehungsscheininhaber eines überschaubaren Jagdbogens. Anerkennendes Kopfnicken überall. Zuverlässiges Erscheinen und wenig Krankschreibungen sind schließlich in der Arbeitswelt hohe Werte. Ebenso wie Wettbewerb. Deshalb wurde ja früher auf Niederwildjagden der Jagdkönig mit einer Medaille geehrt. Aber ist denn industrieller Arbeitsethos überhaupt auf die Jagd übertragbar?

Taugt ein Verhalten, das die Produktion am Laufen hält, auch dazu, den Lebensraum des Wildes zu verbessern und Beute zu machen? Es lohnt sich, einmal zu hinterfragen, wo die eigenen Überzeugungen vom guten und richtigen Jagen wurzeln, Denn wer Verhaltensregeln für sich und seine Mitjäger aufstellt, sollte die Begründen können. Und weil die Welt nicht an der Reviergrenze endet sollten die Begründungen anschluss- und diskursfähig sein. Das bedeutet nicht, dass sie jeder akzeptiert. Es bedeutet aber, das darüber ein sachliches Gespräch mit Nichtjägern möglich sein muss.

Gewiss: Jagdrecht, Tradition und Brauchtum tragen auch jagdethische Grundsätze in sich. Doch stammt vieles aus Zeiten, in denen Jagd privates Vergnügen und selbstbewuste Ausübung eines Rechts war. Hier der Mensch als Krone der Schöpfung, dort das ihm zur Nutzung überlassene Tier. Manche Elemente des Hergebrachten spiegeln einfach nur, was vor Generationen als ritterlich, anständig und standesgemäß galt. Wer für sich eine jagdethische Haltung definiert, muss prüfen, was davon mit heutigen Eerten vereinbar ist. Wer kennt nicht die Jägerin, die nie auf den Hasen in der Sasse schießen würde, die Nachsuche auf den Fuchs al´ber für unnötig hält? Oder den Jäger, der untrainiert auf das flüchtige Reh schießt, aber nie über das tote Stück steigen würde? Beiden hätten bestimmt Mühe, ihr jagdethisches Koordinatensystem zu erklären. "Mache ich halt so" wäre dann oft ehrlicher, als Begriffe wie Waidgerechtigkeit zu bemühen.

Wir erleben einen rapiden Wertewandel. Inzwischen isst jeder achte Deutsche kein Fleisch mehr. Gleichzeitig legen so viele junge Menschen wie nie, darunter viele Frauen, die Jägerprüfung ab. In jedem vierten Haushalt lebt mittlerweile eine Katze, in jedem fünften ein Hund. Das Bewustsein für Umweltprobleme wächst, immer weniger Menschen bewundern Vielflieger oder Besitzer großer Autos. In Berlin und Bonn hat das "Ministerium für Wirtschft und Klimaschutz" die Arbeit aufgenommen, und selbst in den Konzernzentralen ist die Einsichr gereift, dass es jetzt nicht mehr um umweltschonende Produktion, sondern um radikal nachhaltiges und regenerativen Wirtschaften geht. Laut der Studie "Naturbewustsein 2019" des "Bundesministeriums für Umwelt und Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz" meinen 97 Prozent der Deutschen, die Natur dürfe nur so genutzt werden, dass dies auch für kommende Generationen im gleichen Umfang möglich ist. Ein klares Bekenntnis zur Nachhaltigkeit. Gleichzeitig sind sich aber nur elf Prozent der Befragten sicher, über die heimische Tierwelt gut Bescheid zu wissen.

Namhafte Philosophen und Biologen arbeiten an Ethiken, die das Recht von Tieren auf physische und psychische Integrität postulieren. Häufig taucht dabei der Begriff "nichtmenschliche Tiere" auf - ein Signal, dass die wahrgenommene Position des Mensch in der Natur verschiebt. Eine Konsequenz ist, Tiere grundsätzlich nciht mehr als Ressource zu betrachten, wie es die wachsende Menge der Veganer tut.

Eine Gesellschaft die sich zwangsläufig immer stärker mit Klimaschutz, Fleischkonsum und Tierwohl beschäftigt, fordert Rechenschaft von allen Akteuren. "Der Spielraum für eine ethisch legitimierte Jagd wird - unter Berücksichtigung der berechtigten Forderungen nach Vermeidung von ungerechtfertigtem Tierleid - künftig jedenfalls bedeutend enger werden", schrieb schon 2014 der Veterinär und Tierschutzexperte Rudolf Winkelmayer. Aus dieser Perspektive spricht etwa für Bewegungsjagden so viel dagegen wie dafür. Wer sie organisiert und daran teilnimmt, muss sagen können, was sie hier und jetzt rechtfertigt oder notwendig macht. Dasselbe gilt auch für das Unterlassen. So kann die Fuchsjagd in manchen Waldrevieren entbehrlich sein, während sie etwa in Auerwildgebieten jagdethisch geboten ist.

Was jeweils richtig ist, lässt sich nirgends nachschlagen. Die Entscheidung ist immer eine individuelle. Mit zunehmendem Wissen kann sie beim nächsten Mal anders ausfallen. Das heute weithin praktizierte Aufbrechen im Hängen mit Ringeln bedeutet eben nicht nur Arbeitserleichterung. Verantwortung für hygienisches Wildbret zu übernehmen ist auch ethisch. Gut ist ist eine Jagdethische Entscheidung oder Haltung, wenn sie gute Gründe nennt in Bezug auf jagdbare Wildtiere, in Bezug auf die Natur als Beziehungsgefüge und in Bezug auf die nichtjagende Gesellschaft.

Wobei dann konträre Haltungen denselben Anforderungen genügen müssen. Akzeptable ist sie, wenn sie dem - immer in Entwicklung begriffendenen - Wertekonsens der Gesellschaft entspricht. Auch der ist nirgends verzeichnet. Er darf auch nicht mit Beifall oder Protest aus gesellschaftlichen Nischen heraus verwechselt werden. Wer ein Gespür dafür bekommen will, sollte die Entwicklung der Ökologie, der Wildtierbiologie und die Debatten um moralisch angemessenes Verhalten verfolgen. Große Tageszeitungen, viele Jagdmagazine, die Mitgliederzeitschriften der  Jagdverbände und Fortbildungsveranstaltungen liefern solide Informationen. Gespräche mit jegdfernen und jagdkritischen Bürgern liefern Inspiration. Eine gute Leitlinie ist auch im Revier der ökologische Imperativ des Philosophen Hans Jonas: "Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträgtlich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden." Denn in der Natur gewinnen auf Dauer alle oder keiner.

 

Erstveröffentlichung: Landesjagdverband Baden-Württemberg (Hrsg.): Dornsberg aktuell, Heft 2022, S. 11-12