Von Dr. Wolfgang Lipps

Was ist Recht?

Als „Recht“ bezeichnen wir die Gesamtheit der Verhaltensregeln, die von der Gemeinschaft gewährleistet sind – sie bilden die Rechtsordnung. Sie entstehen entweder als Gewohnheitsrecht durch fortdauerndes Befolgen von Regeln, die von der Gemeinschaft als verbindlich akzeptiert werden, oder als gesetztes („positives“) Recht, das von staatlichen oder überstaatlichen Gesetzgebungsorganen oder von satzungsgebenden

Körperschaften, immer also von Menschen für Menschen, geschaffen wird. Diese generellen Regeln werden als objektives Recht bezeichnet. Aus ihm ergeben sich konkrete Rechte des Einzelnen, etwas zu tun, zu unterlassen oder von einem anderen zu verlangen – das sind die subjektiven Rechte des Einzelnen. Zu ihnen gehören insbesondere die individuellen Freiheitsrechte, ferner Ermächtigungen zu rechtswirksamen Handlungen und schließlich Ansprüche, von einem anderen etwas zu verlangen.

Mit den subjektiven Rechten sind immer auch Pflichten verbunden. Jedes subjektive Recht hat Grenzen, die immer da verlaufen, wo das Recht des Einzelnen an das Recht des Anderen stößt oder es überschneidet. Das verpflichtet den einzelnen Rechtsinhaber, diese Grenzen und damit das Recht der anderen zu achten und einzuhalten. Deutlich erkennbar ist dies bei den Freiheitsrechten. Aber aus Rechten können sich auch andere Verpflichtungen ergeben, wie Mitteilungspflichten oder Fürsorgepflichten o. ä.

Das Recht des Tieres – Tierrechte.

Vertreter von unveräußerlichen und vergleichsweise weitgehenden Rechten von Tieren werden als Tierrechtler bezeichnet. Sie leiten aus diesen Tierrechten weitreichende Forderungen an die Gesellschaft bezüglich des Umgangs mit Tieren ab. Die Tierrechtsbewegung ist eine soziale Bewegung, die Tierrechte einfordert und durch den philosophischen Diskurs maßgeblich beeinflusst ist. Der Terminus Tierrechte ist somit ein zentraler Begriff der Tierethik. Er bezeichnet – lange diskutiert aber heute ganz eindeutig – subjektive Rechte für (nichtmenschliche) Tiere. Etwa ab 1970 spaltete sich die Tierrechtsbewegung als eigenständige Strömung von der Tierschutzbewegung ab.

Tierrechtler werden häufig mit Tierschützern, insbesondere militanten Tierschützern, verwechselt, was auch daran liegt, dass sie sich selbst oft hinter plakativem lautem gewalttätigem und militantem Tierschutz verstecken. Aber sie wollen nicht die Tiere nur schützen, sondern sie wollen die Nutzung des Tiers durch den Menschen gänzlich aufheben, weil das Tier wie der Mensch ein Bewusstsein habe und wie der Mensch leiden könne und deshalb – wenn auch partiell – subjektive Rechte wie ein Mensch haben muss. Das betrifft insbesondere das Recht auf Freiheit und Leben – daher befürworten sie Tierbefreiungen. Deshalb darf für Tierrechtler der Mensch kein Tier töten oder seine Produkte essen, was gleichzeitig dazu führt, dass Tierrechtler generell Veganer sind.

Das „Tierrecht“ auf „Tierschutz“.

Hinzu kommt, dass es inzwischen eine ganze Reihe von Organisationen gibt, die ausdrücklich Tierschutz, auch provokativen und militanten Tierschutz, auf der Grundlage der Tierrechte praktizieren. So entstand in Nordamerika und in westeuropäischen Staaten unter anderem PETA (People for the Ethical Treatment of Animals) – eine Organisation, die Jägern ein ganz besonderer Dorn im Auge ist. Organisationen in Großbritannien, Schweden und Norwegen haben sich dem Tierrechtsgedanken geöffnet. Unter dem Druck der Öffentlichkeit, die von der Schriftstellerin Astrid Lindgren kräftig unterstützt wurde, hat Schweden sein nationales Tierschutzgesetz geändert. Es spricht den Tieren jetzt eigene Rechte zu, und zwar das Recht auf einen entsprechend großen Lebensraum, auf Freiluftaufenthalte und ähnliches.

Im September 1988 klagten die Seehunde in der Nordsee gegen die Bundesrepublik Deutschland, weil durch die zahlreichen Verklappungsgenehmigungen des Verkehrsministeriums für lebensbedrohliche Schadstoffe ca. 18.000 Seehunde verendet sind. Die Seehunde konnten natürlich nicht selbst klagen, sondern für sie klagte ein „Prozesspfleger“, nämlich der BUND, Greenpeace und 6 weitere Umweltverbände. Auch diese Organisationen sind auf dem Weg zum Tierrecht.

Die Klage war, wie erwartet, erfolglos. Abgesehen davon, dass die Seehunde keine Vollmacht unterzeichnet hatten (ein einigermaßen rabulistisches Argument!), war das Gericht zum einen der Ansicht, die Seehunde seien exterritorial und könnten in Deutschland nicht klagen (auch mehr ein Drückeberger-Ausweg). Zum anderen vertraten sie aber die im Ergebnis richtige Ansicht, Seehunde seien nicht rechtsfähig, weil diese Eigenschaft vom Gesetz – wie hier schon am Anfang dargelegt – nur Menschen zugeschrieben wird.

Tierschutz gegen Tierrechte?

Das bringt uns zu einem interessanten Konfliktfeld – Tierschutz und Tierrechte. Im Tierschutz gibt es inzwischen in einigen Bundesländern ein Verbandsklagerecht für Tierschutzorganisationen, das sich aber nicht auf Tierrechte stützt, sondern das verlangt, dass die klagenden Verbände entweder persönlich betroffen sind (was sie nie sind!) oder dass ein öffentliches Interesse an einer rechtlichen Regelung besteht. Diese an sich vernünftige Hürde ist leider so hoch, dass sie kaum zu nehmen sein wird.

PROVEG ist ein Verein, der sich in erster Linie dem vegetarischen und veganen Leben verschrieben hat. Die Tierrechtsbewegung ist mit veganem Leben eng verbunden. Deshalb wundert es auch nicht, dass die Website von PROVEG sich zu den Tierrechten wie folgt bekennt:

Für Tierschützer steht in erster Linie die „artgerechte“ Haltung von Tieren im Vordergrund. Die Tierrechtsbewegung geht einen Schritt weiter und fordert eine moralische Berücksichtigung von Tieren in allen Belangen.

Das aktuelle Tierschutzgesetz spricht von „der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf, dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen“ ist. Betrachtet man die Massentierhaltung, ist es äußerst fragwürdig, inwiefern dieses Gesetz überhaupt eingehalten wird oder ob es einfach einen zu großen Interpretationsspielraum gibt.

Das verdeutlicht die Notwendigkeit von Tierrechten. Die Rechte, die wir selbst für uns in Anspruch nehmen, enthalten wir anderen durch Diskriminierung vor. Allerdings ist Diskriminierung ethisch inakzeptabel, unabhängig davon, ob sie auf Rasse, Geschlecht, sexuelle Orientierung oder Artzugehörigkeit basiert. So haben Hunde und Schweine die gleiche Fähigkeit, Schmerzen zu empfinden. Lediglich unsere Diskriminierung erlaubt uns, den einen als Gefährten und den anderen als Abendessen anzusehen.

Häufig verstecken sich Tierrechtler somit hinter Tierschutzargumenten.

Rechtsfähigkeit und Geschäftsfähigkeit

Allein dadurch, dass das von Menschen gemachte Gesetzeswerk, das Bürgerliche Gesetzbuch, in § 1 nur dem Menschen Rechtsfähigkeit zuweist, und unsere gesamte Rechtsordnung keine Vorschrift kennt, die einem Tier Rechtsfähigkeit zuweisen würde, ist klargestellt, dass Tiere nicht rechtsfähig sind. Sie können also nicht Träger von subjektiven Rechten und Pflichten sein.

Die Tierrechtler weisen darauf hin, dass Tiere ein Bewusstsein haben, die Welt um sie herum erkennen, Einwirkungen, denen sie selbst unterworfen sind, abschätzen und erkennen können, und auf diese reagieren können. Sie sind also in der Terminologie von Tom Reagan Subjekte des Lebens. Deshalb hätten sie umso mehr Anspruch darauf, Rechtsfähigkeit zu haben, als zum Beispiel das nur wenige Wochen alte Kleinkind oder der geistig stark Behinderte, die aber trotz ihrer Unfähigkeit, Rechte und Pflichten zu erkennen und auszuüben, von der Vollendung der Geburt an diese Rechte und Pflichten haben. Deshalb spräche nichts dagegen, Tieren ebenso wie Kleinkindern und geistig Behinderten subjektive Rechte zuzugestehen.

Das führt bei Tierrechtlern zu abstrusen Gedankengängen. Der australische Philosoph Singer meinte, wenn eine Mutter aus einem brennenden Haus nur ihren 4 Wochen alten Säugling oder ihren Hund retten könne, müsse sie den Hund retten, weil dieser im Gegensatz zum Säugling ein Lebensbewusstsein habe. Zwar ist er so gütig, zuzugeben, dass möglicherweise der Instinkt der Mutter sie dazu treiben wird, den Säugling dem Hund vorzuziehen. Aber tierrechtstheoretisch wäre das falsch.

Sonstige Argumente gegen subjektive Tierrechte

Nicht nur die Regelung der Rechtsfähigkeit in § 1 BGB, verbietet es, Tieren subjektive Rechte zuzuweisen, sondern es gibt daneben noch andere Argumente dagegen.

Der Rechtsphilosoph und Jesuit Norbert Brieskorn meint, wer höher entwickelten Tieren subjektive Rechte zugestehen wolle, müsse unter anderem darauf antworten,

  • ob Rechte Wesen zuerkannt werden sollten, die im Gegensatz zum Menschen nie von ihnen selbst Gebrauch machen könnten;
  • ob es sich um die Ausdehnung von Menschenrechten auf Tiere oder um spezifische Tierrechte handeln solle;
  • wie der jeweilige Vorrang zwischen Menschen- und Tierrechten zu ermitteln sei;
  • worauf die Legitimität jener beruhe, welche die Tierrechte im Namen der Tiere geltend machen.

Diese Kritik steht nicht allein und wird insbesondere auch unter ethischen und moralphilosophischen Aspekten von einer ganzen Reihe von Wissenschaftlern ergänzt.

Rechtsreflex und Tierschutz

Unsere Verfassung, das Grundgesetz, wurde im Jahre 2002 dahingehend ergänzt, dass der Tierschutz als Staatsziel aufgenommen wurde. Zahlreiche andere Vorschriften befassen sich mit Tierschutz, und das Jagdrecht ruht neben Nachhaltigkeit und Biodiversität auch auf dem Tierschutz. Alle diese Vorschriften aber gehen nicht von einem Recht der Tiere auf Tierschutz, auf Freiheit, auf Unversehrtheit oder auf die Wahrung anderer Tierrechte ein, sondern machen lediglich deutlich, dass Tiere eben keine Sache mehr sind, sondern Mitgeschöpfe. Träger subjektiver Rechte sind sie nicht.

Das ist auch nicht erforderlich, denn das Recht kennt durchaus Fälle, in denen zwar Verpflichtungen gegenüber Dritten bestehen, diese aber keinen Anspruch darauf haben, dass der Verpflichtete seinen Pflichten nachkommt. Während es also keine Rechte ohne Pflichten gibt, so gibt es dennoch Pflichten, denen kein Recht auf der „Gegenseite“ zugeordnet ist.

Dieses Rechtsinstitut nennen wir Juristen „Rechtsreflex“.

Von einem Rechtsreflex spricht man z. B., wenn dem Bürger durch rechtlich gebotenes staatliches Handeln zwar ein tatsächlicher Vorteil entsteht, der Bürger aber keinen rechtlich durchsetzbaren Anspruch auf Erfüllung dieser Staatspflicht hat. Rechtsnormen, welche dieses staatliche Handeln fordern, sind rein objektives Recht. Es fehlt hier am subjektiven Recht dessen, demgegenüber eine Pflicht besteht. Ein Rechtsreflex ist also die lediglich tatsächliche (keine eigene Rechtsqualität implizierende) Auswirkung einer rechtlichen Regelung. Im Gegensatz zum subjektiven Recht ist beim Rechtsreflex die Regelung nicht dazu bestimmt, auch den Einzelinteressen dessen zu dienen, der sich auf sie beruft. Im Einzelnen ist die Abgrenzung zwischen Rechtsreflex und subjektivem Recht häufig schwierig.

Nicht so bei den Pflichten, die zahlreiche gesetzliche Regelungen jedem auferlegen, der mit Tieren zu tun hat. Genauer: Jedermann ist verpflichtet, die Rechtsregeln zum Schutz – zur Haltung, zum Transport, zur Tötung – von Tieren strikt einzuhalten. Verstöße dagegen sind teils Ordnungswidrigkeiten, teils sogar Straftaten.

Nur an einem fehlt es beim Rechtsreflex, im Gegensatz zu subjektiven Rechten: der Begünstigte des Rechtsreflexes hat, im Gegensatz zum Rechtsfähigen, kein eigenes Durchsetzungsrecht. Er kann die Einhaltung der Verpflichtung aus dem Rechtsreflex nicht verlangen, das Tier kann nicht gegen Tierquälerei aus eigenem Recht klagen! Die Seehunde sind nicht prozessfähig.

Dennoch braucht man deswegen kein subjektives Recht des Tieres. Eine Lösung ist das Verbandsklagerecht anerkannter Tierschutzverbände, ein weiterer Rechtsbehelf ist die Anzeige interessierter Bürger. Und immer da, wo behördliche Genehmigungen, Zulassungen oder Ähnliches erforderlich sind, sind die Sanktionen des Rechts gegen säumige Behörden – die es leider zuhauf gibt, aber denen man durchaus mit Dienstaufsichtsbeschwerden oder Anzeigen beikommen kann – Möglichkeiten, dem rechtlosen aber nicht schutzlosen Tier zu Hilfe zu kommen. Das gilt gleichermaßen für Anzeigen gegen Tierquäler oder Tierschutzverletzer; im März 2019 hat das AG Ulm einen Tierquäler bei Massentierhaltung zu 3 Jahren Gefängnis verurteilt. Man kann viel für das Tierwohl tun, man muss es nur wollen!

Was aber nicht geht, sind Rechtsbrüche zugunsten der Tiere, die ihrerseits Rechte verletzen. Deshalb ist das Urteil des OLG Naumburg vom 22.08.2018 schlicht falsch. Das Gericht meint, ein Hausfriedensbruch könne gerechtfertigt sein, wenn er dazu diene, eine gegenwärtige und nicht anders abwendbare Gefahr für Tiere abzuwenden. Hier traf das auf den Hausfriedensbruch in einen Schweinestall zum Filmen nicht zu.

Schlussbemerkung

Ungeachtet der Tatsache, dass die Tierrechtsbewegung häufig zu abstrusen Ergebnissen führt, ist ihre Grundlage, die Liebe zum und die Achtung vor dem Tier, positiv zu bewerten. Sie deckt sich damit weitgehend mit der moralischen Basis des Tierschutzes.

Wenn es somit auch, wie oben in aller Kürze belegt (ausführlicher dazu https://jagdrechtsblog.com/jagdrecht-und-tierrechte-eine-rechtstheoretische-hinterfragung/) Tierrechte im rechtlichen Sinne nicht gibt, ist es nicht nur eine Aufgabe der Tierschützer oder Jäger, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, den Tierschutz als starken Rechtsreflex der Tiere, und zwar aller Tiere, ernst zu nehmen. Seine Verletzungen dürfen nicht toleriert werden.