Von Gert G. v. Harling

„Wir haben eine neue Kanzel gebaut. Du musst sie unbedingt ausprobieren. Alle sind ganz begeistert!“ Behutsam versuche ich, den Jagdherrn umzustimmen. Bei herrlichem Sommerwetter durch die schmalen Schießscharten einer modernen „Ansitzeinrichtung“ zu starren, passiv auf den bestätigten Bock zu warten und bei Erscheinen zu erschießen, ist wirklich nicht nach meinem Geschmack. Wer Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Fühlen verlernt hat, mag geschlossene Kanzeln, womöglich mit verschließbaren Glasfenstern und Teppichboden isoliert, schätzen, ich sitze lieber in Augenhöhe mit dem Wild auf der Erde oder dem Jagdstock, wo ich der Natur näher bin als in einem dämmerigen Kasten drei oder gar fünf Meter über dem Waldboden, wo ich die Haselmaus im trockenen Laub rascheln höre, den kleinen Zaunkönig nahe dem Erdboden im Gestrüpp beobachten kann oder Meister Reineke rieche, wenn er heimlich vorüberschnürte.

Erst nachdem ich alle meine Überredungskünste ausgespielt hatte, gab der Herr über 800 Hektar Eigenjagd schließlich enttäuscht nach, ich brauchte nicht passiv in der neuen Kanzel auf den dort mit fast 100-prozentiger Sicherheit pünktlich austretenden Bock zu hoffen, sondern durfte aktiv jagen, meine Sinne einsetzen, konnte Strategien entwickeln und auf meine praktischen Erfahrungen zurückgreifen.

In bestimmten, von der Umgebung vorgegebenen Fällen, in der Marsch beispielsweise, in flacher, weiter Feldflur ohne natürlichen Kugelfang, wo der Jäger nicht schießen kann, ohne das Hinterland zu gefährden, oder in Revieren, in denen mehr Spaziergänger als Wildtiere auf den Läufen sind, mögen hohe und geschlossene Ansitze unerlässlich sein, auch wenn längst nicht alle Geräusche vom Boden aus bis nach oben dringen. In anderen, vor allem in Waldrevieren, sind sie ein „Armuts“ - Zeugnis. Jagen wird dort lediglich zum Naturbeobachten „aus zweiter Hand“. Es ist kein Überlisten, kein Messen der Sinne und Kräfte zwischen Mensch und Tier mehr, ist viel mehr warten auf einen glücklichen Zufall. Ich fühle mich zudem vom unmittelbaren Naturerlebnis und -genuss ausgeschlossen.

Der Geruchssinn ist wohl das Wichtigste, was ein Wildtier gegen die künstlichen Hilfsmittel des "homo sapiens", mit denen der seine verkümmerten Sinne kompensiert, einsetzen kann. Wartet man „über dem Wind“, nimmt man dem Wild auch noch dessen letzte "faire" Chance.

Wirkliches Waidwerk, die „Hohe Kunst des Jagens“, die Jagd an sich, verkümmert in unseren Breiten immer mehr zum Sitzsport. Das Gesäß vieler Jäger ist beim Jagen ihr am meisten benutztes und strapaziertes Körperteil, Augen-, Nasen- und Ohrensinne verkümmern.

„Der deutsche Durchschnittsjäger verbringt viel Zeit mit dem Bau geschlossener Hochsitze und mit Geselligkeit. Er wartet in grüner Kleidung - die ist ihm besonders wichtig - am Feld- oder Wiesenrand, und kommt ein Stück Wild, erlegt er es von seiner Hohen Warte mit einer Zielfernrohrbüchse auf 150 oder 200 Meter. Das nennt er Jagd.“ Soweit die Meinung meiner ausländischen Jagdfreunde über das edle deutsche Waidwerk.

Gewiss trifft das nicht auf alle Jäger zu aber: „cum grano salis“.

Ortega y Gasset schreibt in etwa, dass, wenn der Mensch seine technische Überlegenheit dem Tier gegenüber ausspielt, die Jagd zu Ende ist.

Bei Licht betrachtet fängt das schon mit Hochsitzen an. Bei Hermann Löns habe ich nie von einer geschlossenen oder wetterfesten Kanzel gelesen.