Von: Volker Seifert
Naturreligiösität
Hier sei der Verweis auf einen Sonderweg gestattet. Und Sonderweg soll hier nicht verstanden werden als Form einer eleganten Lösung, son-
dern als Position innerhalb der Naturschutzbewegung, die sich der rationalen Argumentation verschließt, jedoch gerade bei den Anhängern
eines radikalen Naturschutzes einige Sympathisanten findet.
Gemeint sind jene Positionen, die ihren Ursprung im außerwissenschaftlichen Bereich, in der „New-Age-Bewegung“ und in den verschiedenen eso-
terischen Spielarten haben. Ich bin geneigt, für diese Form des Naturverständnisses den groben Oberbegriff der Naturreligiösität zu wählen. Natur wird hier zu einem quasi-religiösen Begriff, der im Naturerleben romantisierend, poetisch beschworen wird. Häufig findet man auch ein idealisiertes Bild verschiedenster Naturvölker vor. Angestrebt wird eine verloren geglaubte Harmonie zwischen Mensch und Natur. Undifferenzierte und irrationale Tendenzen erkennt man in Leerformeln wie Mutter Erde, beseelte Natur und Entfaltung des Lebens. Einige Positionen der Grünen lassen sich auf solche diffusen Quellen zurückführen, wobei die Auseinandersetzungen in den 80er Jahren zwischen Fundis und Realos eine gewisse Klä-
rungsarbeit vorgenommen haben.
Ich erwähne diese Position, da sie gerade bei den Aktivisten der Jagdgegner häufig verbreitet ist und eine Argumentation durch die Emotionalisierung, Idealisierung und Überhöhung der Natur nicht gerade vereinfacht ist.
Die anthropozentrische Position dagegen schreibt nur dem Menschen als vernünftiges Wesen moralische Rechte und Pflichten zu. Eine Verantwortungspflicht gegenüber der Natur wird nur indirekt – unter Berücksichtung menschlicher Interessen – vollzogen. Die Natur selbst ist ein wertneutraler Gegenstand. Diese indirekte Verantwortungspflicht erfolgt in der Regel mit drei Argumenten die sich nicht gegenseitig bedingen jedoch stützen können:
das pädagogische Argument: hiernach stärkt der rücksichtsvolle Umgang mit der Natur die moralische Empfindsamkeit des Menschen. Oder anders ausgedrückt, der rücksichtslose Umgang mit der Natur lässt den Menschen verrohen,
das ästhetische Argument: die sinnliche Naturerfahrung ist Bedingung für ein gelungenes menschliches Leben. Daher müsse die Vielfalt und
Schönheit der Natur bewahrt werden,
das Ressourcen Argument: die Natur stellt die Bedingungen menschlicher Grundbedürfnisse nach Nahrung, Obdach und Gesundheit. Der Mensch ist aus eigenen Überlebensinteressen verpflichtet sorgsam mit der Natur umzugehen.
Nur Sebstzweck?
Die Natur wird als Mittel zum Zweck verstanden und nicht wie bei der physiozentrischen Position als Selbstzweck. In diesem Sinne ist es eher ange-
bracht die Titulierung Naturschutz zu unterlassen, da die Motive für einen schonenden Umgang mit der Natur ausschließlich im menschlichen
Eigeninteresse zu finden sind. Naturschutz im umfassenden Sinne scheint hier nicht möglich zu sein, bestenfalls eine sinnvolle das heißt nachhal-
tige Nutzung der natürlichen Ressourcen und die Steuerung des technischen Fortschritts unter Beachtung eines aufgeklärten Eigeninteresses. Nachhaltigkeit verstanden als diejenige Bewirtschaftung der Natur, die deren Regenerationspotentiale beachtet.
Des Weiteren spricht für den Anthropozentrismus, dass er mit dem vorherrschenden naturwissenschaftlichen Weltbild besser verträglich ist. Es
stellt sogar die Bedingung zur Naturbeherrschung da. Wissenschaft und Technik gründen auf der Entgegensetzung von Mensch und Natur – auf
deren Objektivierung. Die Kritiker der anthropozentrischen Position sehen aber gerade in den Folgen der wissenschaftlichen Naturbeherrschung mittels Technik, den Grund für die Zerstörung der Natur. Meines Erachtens kann dies jedoch nicht als grundsätzlicher Vorwurf gelten, sondern nur einzelne Technikanwendungen betreffen. Das Handeln des Menschen – das immer Technik ist – kann somit nur unter dem Gesichtspunkt der Natur-
schonung erfolgen. Oder um es etwas drastischer auszudrücken: Naturschutz gehört nicht zur Natur des Menschen.
Der Mensch ist nicht nur in der Lage, die Natur nach seinen Vorstellungen und Bedürfnissen zu gestalten, es ist auch seine einzige Überlebensstrategie.
Die Wahrnehmung und die Beurteilung der Natur scheint auch einer Verzerrung zu unterliegen. Natur und Vorgänge innerhalb der Natur werden gerne „verniedlicht“. Natur wird nicht wahrgenommen wie sie ist, sondern wie man sie sich idealtypisch vorstellen möchte. Vormals wurde die Natur als lebensfeindliche Wirklichkeit empfunden, der man sein „tägliches Brot im Schweiße seines Angesichts“ abringen musste. Heute, aus der sicheren Perspektive – einer illusorischen Naturunabhängigkeit – wird die Wirklichkeit verklärt. Die Wahrnehmung der Natur als mitleidloses Spektakel findet
bestenfalls unter der heimeligen Atmosphäre eines Fernsehabends statt. Der Mensch hat sich bereits soweit von der Natur entfernt, dass er deren
Feindlichkeit gar nicht mehr wahrnimmt.
Aber auch diese Feindlichkeit ist eine Unterstellung, eine Interpretation und Beurteilung. Die Natur ist den menschlichen Bedürfnissen gegenüber indifferent, dem Menschen gegenüber ist der Natur gleichgültig. Die Verniedlichung der Natur geht einher mit einem Unverständnis denjenigen
gegenüber, die die Natur noch normal behandeln. Der Jäger ist beispielsweise ein Opfer dieser perspektivischen Verzerrung. Wie kann man auch
ein Bambi töten, das eigentlich nur mit seinen Freunden, den anderen Bewohnern des Waldes spielen möchte. „Meine Katze fängt keine Vögel,
denn sie kann ja nicht fliegen, mit den Junghasen möchte sie nur spielen“ und „mein Hund wildert nicht, denn er ist Vegetarier.“ Aber nicht nur die Jäger stehen unter einem Rechtfertigungsdruck, jeder Naturnutzer steht unter dem Generalverdacht ein Feind, ein Ausbeuter der Natur zu sein – wobei dies auch gelegentlich zutreffen kann. Und wie kann es auch anders sein, wenn der Wirklichkeitsbezug nur noch indirekt und selektiv erfolgt. Die häufig zu beobachtende „Vermenschlichung“ der Haustiere mag hier ebenfalls als Beispiel angeführt werden.
Naturschutz-Diemma
Das Naturschutzdilemma entsteht, wenn Schutzmaßnahme des Menschen nur vordergründig diesen Schutz realisieren und in ihrer praktischen Umsetzung sich als Mogelpackung gegebenenfalls sogar als kontraproduktiv erweisen.
In diesem Dilemma befinden sich beispielsweise die Nationalparks. Auf der einen Seite wird durch die weitgehende Unterlassung einer wirtschaftlichen Nutzung (Tourismus ausgenommen) eine begrenzte Form – nicht nur räumlich – des Schutzes vorgegeben, auf der anderen
Seite bedienen die Nationalparks nur noch ein ästhetisches Bedürfnis. Die Schönheit der Landschaft soll zukünftigen Generationen erhalten bleiben, wobei jedoch ein musealer Charakter entsteht. Der radikale Naturschutzbegriff der physiozentrischen Position müsste ein generelles Betretungsverbot dieser Zonen umsetzen. Dies ließe sich aber gesellschaftspolitisch gar nicht durchsetzen.
Sinnvoller und mit dem abgeschwächten, aber tragfähigen Naturschutzbegriff in Einklang, wäre jedoch eine weitergehende Nutzung der Ressourcen, wie sie zum Beispiel die Jagd und eine nicht kommerzielle forstwirtschaftliche Nutzung dieser Gebiete darstellen würde. Zumindest
würden diese Maßnahmen dem nicht widersprechen. Des Weiteren ist es fraglich, ob der Zustand der Natur, den die Nationalparks erhalten wollen, ein natürlicher ist? Zumindest in Deutschland ist die Landschaft – auch die der Nationalparks – in den vergangenen Jahrhunderten bereits mehrfach vom Menschen angepasst worden, stellt also keine reine Natur mehr da, sondern ist Kulturlandschaft. Allein die Begrifflichkeit „Kulturlandschaft“ macht deutlich, wie verwoben Natur und Kultur bei uns sind. Es entsteht der Eindruck, als würden die Nationalparks einer Art Freilichtmuseum
mit einem fragwürdigen pädagogischen Anspruch entsprechen. Der sonntägliche Familienausflug in den Nationalpark hat sowenig mit Naturerfahrung zu tun, wie ein Schrebergarten mit Biotoppflege.
Aber auch kleinere Vorhaben sind mit Bedenklichkeiten verbunden. Die Wiedereinbürgerung ausgestorbener Tierarten in Deutschland, zum Beispiel Luchs, Biber oder Wolf erscheint als ein zweifelhafter Anachronismus (von der Problematik der Neuansiedlung ganz abgesehen). Ob diese Arten sich in unserer Industrielandschaft „heimisch“ fühlen können, ist genauso fraglich wie der davon versprochene Nutzen. Diese Wiedereinbürgerungen
oder vorsichtiger ausgedrückt, die Wiedereinbürgerungsversuche sind Zeichen einer unaufgeklärten Sehnsucht nach „der guten alten Zeit“. Und
die Verfechter dieser Wiedereinbürgerungen führen oftmals Argumente an, die mit idealisierend sehr wohlwollend umschrieben sind, irrational wäre die treffendere Beschreibung.
Welchen Gewinn oder weniger tendenziös – welchen Nutzen hat „die Wiederkehr des Wolfes“? Ob sich die Wölfe wohl fühlen, ist wie gesagt eine spekulative Frage. Der Mensch jedoch wird wohl lieber den Wolf nicht zu Angesicht bekommen wollen, zumindest nach dem ersten „Unfall“ (in der Natur gibt es keine Unfälle) nicht mehr, und bestenfalls froh sein, wenn der Wolf sich bedeckt in dem „tiefen dunklen Wald“ aufhält; von den potentiellen Beutetieren ganz zu schweigen. Die menschliche Naturwahrnehmung und -erfahrung ist selektiv. Man freut sich an den Gedanken, dass die Wolfsmutter sich rührend um ihre Jungen kümmert und verdrängt gerne den Todeskampf des Rehs, wenn es von derselben gerissen wird. Die
Natur entzieht sich den menschlichen Maßstäben von gut und böse. Wir nehmen die Natur nur aus einer Distanz wahr, aus der sicheren Perspektive, die uns unsere Kulturleistungen ermöglichen.
Sowenig wie wir in der Natur leben wollen, so wenig nehmen wir sie wahr wie sie ist. Für den Jäger stellt die Natur keinen Eigenwert da. Sie dient ihm in erster Linie als Ressource und gegebenenfalls als Bühne für ein ästhetisches Erlebnis. Und nur in diesem Sinne sind auch die Maßnahmen zu verstehen, die Jagdverbände gerne als Naturschutz vermarkten.
Wobei der hier verwendete Naturschutzbegriff nur noch rudimentär zu sehen ist und es sich eigentlich um die Herausstellung des Jagens als Natur schonende Tätigkeit handelt. Wildwiesen, Äsungsflächen, Hecken, Bau und Anbringung von Nistkästen und so weiter werden nicht zum Selbstzweck „angebaut“, sondern zum Mittel der Erhaltung einer artgerechten Umwelt. Reviergestaltung ist dabei der treffende Ausdruck, denn Natur kann man nicht gestalten. Ob die Arten, die durch die hegerischen Maßnahmen gefördert werden, auch jagdlich genutzt werden, ist dabei nicht von Belang. Letzteres kann durchaus „nur“ den ästhetischen Wert des Jagderlebens steigern. Und es ist ja auch sinnvoll und legitim, jedoch sollte man sich nicht in eine argumentative Notlage bringen und unreflektiert Modebegriffe verwenden, die sich bei näherer Betrachtung als
nicht selbstlose „Klugheitsentscheidung“ herausstellen. Schlagworte eignen sich nicht zur Rechtfertigung einer Handlung, da sie immer eine
unzulässige Verkürzung darstellen.
Eine Auszeichnung Nachhaltigkeit stellt keine Auszeichnung dar, sondern ist der Normalfall, zumindest sollte sie es sein. Das Gegenteil von Nachhaltigkeit, die Zerstörung oder Ausbeutung ist nämlich gegen die ureigensten Interessen des Menschen. Und Handlungen deren Folgen
sich gegen die eigenen Interessen auswirken, nennen wir gewöhnlich unvernünftig, sie widersprechen der Vernunft.
Wobei die Jagd und die jagdlichen Nebenfolgen der Reviergestaltung einen aufgeklärten Naturschutz darstellen können, wenn sie die
Grundsätze der Nachhaltigkeit und des Tierschutzes beachtet und dadurch auch noch eine Wertschöpfung realisiert und sich nicht das
Feigenblatt Naturschutz umlegen muss.